INSTITUT DES CULTURES MÉDITERRANÉENNES ET ORIENTALES
DE L’ACADÉMIE POLONAISE DES SCIENCES
ÉTUDES et TRAVAUX
XXV
2012
JUTTA MEISCHNER, ERGÜN LAFLI
Das Spitzbauchknäblein
aus Elaiussa Sebasté, Kilikien
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JUTTA MEISCHNER, ERGÜN LAFLI
Die mit einem schweren Mantel versehene Statue eines kleinen Kindes wurde im Jahr 2000
südlich der Hafenthermen in Elaiussa Sebasté, Kilikien, ausgegraben1; sie gelangte unter
der Inventarnummer 00.14.22 in das Museum von Mersin. Es fehlen der Kopf, der obere
Teil des Mantels, die rechte Schulter, der rechte Arm und die Finger der linken Hand. Das
rechte Bein ist nur bis zum Knie erhalten, das linke bis zur Mitte des Unterschenkels. Die
Genitalien scheinen säuberlich abgearbeitet zu sein. Elaiussa lebte seit dem 3. Jahrhundert
n.Chr. als christianisierte Stadt, zeitweise mit Bischofssitz, fort. Die verstümmelte Nacktheit
des Knaben mag in christlicher Ablehnung antiker Körperlichkeit ihre Erklärung finden.
Die verbliebene Höhe der Knabenstatue beträgt 42 cm. Die schwammigen Oberschenkel
gehören zu einem noch sehr jungen, etwa zweijährigen Kind. Der vorgestreckte Bauch weist
ebenfalls auf ein eben dem Babyalter entwachsenes Kleinkind. Ein schwerer Mantel reicht
bis zu den Waden. Die Tragweise ist ungewöhnlich: Das frontal stehende Kind schiebt mit
der Innenfläche seiner linken Hand den Mantel vom Körper nach hinten weg, sodaß der
Handrücken zu sehen ist und der kleine Finger oben, der Daumen unten zu liegen kommt.
H. Döhl prägte den Begriff des „Spitzbauchtypus“ von Eroten2. An Terrakotten erscheint
der Spitzbauchtypus in nachklassischer Zeit, im frühen Hellenismus des 3. Jahrhunderts
v.Chr. Er ist charakteristisch für dessen erste Hälfte3. Ein schöneres Exemplar eines nackten
Kindes mit Spitzbauch als die Marmorskulptur aus Elaiussa ist gar nicht denkbar. Die Statue
des kleinen Knaben von ungefähr zwei Jahren ist trotz ihrer beträchtlichen Fehlstellen ein
aussagestarkes Kunstwerk von beachtenswerter Originalität. Das Motiv, den Mantel vom
Körper weit weg zu schieben, ist ohne Parallele und scheint eine authentische Erfindung
des Meisters zu sein. Es spiegelt aber, wie unten zu zeigen ist, den künstlerischen Trend
der Epoche genau, der Schwerpunkte der Komposition dezentral anzusetzen liebt. Rumpf
und Beine des Kindes sind nicht bewegt, sondern erscheinen symmetrisch in Frontalansicht. Eine massive Körperlichkeit, ohne Schwung und Grazie und ohne Feinheit der
Begrenzungslinien, bestimmt den Stil der Plastik. Der Gestus der linken Hand ist nicht
durch einen natürlichen Bewegungsablauf motiviert. Der Mantel wird demonstrativ wie
ein Bühnenvorhang zur Seite geschoben, so daß die linke Körperkontur bis in Brusthöhe
freisteht und sich der Körper in Gänze präsentieren kann. Die künstlerische Absicht ist die
Aufsplitterung des Blickpunktes auf zwei Schwerpunkte der Komposition: die Präsentation des Körpers und den abrupten Gestus, der die Präsentation ermöglicht. Der Mantel
soll den Körper weder bekleiden noch eine kompositorische Einheit mit ihm erreichen.
Ihrer harmonischen Bezugnahme wird vielmehr absichtsvoll entgegengearbeitet. Der
Mantel bildet einen eigenständigen und seinerseits dominanten Bestandteil der Skulptur. In
massigen Faltenbahnen breitet er sich neben dem nackten Körper aus und bildet an seiner
1
Für Hinweise und Hilfen haben wir Eva Christof (Graz), Elfi Kirchner, Antje Krug und Peter Grunwald
(Berlin) sehr zu danken. E. EQUINI-SCHNEIDER, Elaiussa Sebsté: Un porto tra Oriente e Occidente II, Rom 2003,
S. 334f., Abb. 263–265.
2
H. DÖHL, Der Eros des Lysipp, Göttingen 1968 [= Eros], S. 90, 94–96.
3
Beschreibung des neuen Typus cf. DÖHL, Eros, S. 79f.; Kerameikos T 253; Athen, NM 12514; C. VORSTER,
Griechische Kinderstatuen, Köln 1983, S. 164f., 180, 358 Nr. 78 Anm. 546.
1
2
1–3. Statue eines Spitzbauchknaben. Mersin, Archäologisches Museum (Phot. Peter Grunwald).
3
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JUTTA MEISCHNER, ERGÜN LAFLI
linken Seite eine stoffreiche Wand, die der Skulptur zusätzliche Tiefe verleiht. Mithin
bilden Körper und Mantel keine kompositorische Einheit, sondern zwei eigenständige
Schwerpunkte der Komposition, die gleichberechtigt nebeneinander stehen und jeweils
Aufmerksamkeit für sich fordern. So raffiniert die Vorderansicht den Körper zur Schau
stellt, so provokant kommt der Spitzbauch in der Seitenansicht vor dem zurückgeschobenen
Mantel zur Wirkung. Mantel und Bauch bilden auch hier keine kompositorische Einheit,
sondern provozieren wechselseitige Beachtung. Die zweifach gestaffelte Tiefenausdehnung
sowie die Diskontinuität der Gestaltungselemente von Körper und Mantel ergeben eine
merkwürdig unklassisch zerrissene Komposition.
Zum Spitzbauchtypus sei auf den bacchischen Eros in Würzburg4 verwiesen. Er wird dort
wohl zu spät angesetzt. Er vertritt den hier behandelten Typus mit breiter Hüfte, überbetont
dickem, strammem Bauch und undifferenziert modelliertem, säulenartig aufsteigendem
Oberkörper. Daß er gegenläufige Kopf- und Armbewegungen zeigt, widerspricht einer
Entstehung noch im 3. Jahrhundert v.Chr. nicht.
Das eigenwillig unkonventionelle Arrangement des Mantels beim Knaben aus Elaiussa findet im Frühhellenismus vielfache Parallelen. Die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts
v.Chr. räumt der künstlerischen Wiedergabe von Bekleidung, insbesondere von Mänteln,
eine bevorzugte Stellung ein. Die Wiedergabe des Körpers wird zugunsten der Gewänder
weitgehend zurückgedrängt. Der Körper bildet nicht mehr das Hauptmotiv einer figürlichen
Skulptur. So beobachtet Döhl, wie auch an frühhellenistischen Eroten eine Bezugnahme
von Körper und Gewand absichtsvoll vermieden wird5. Die Bekleidung tritt im 3. Jahrhundert v.Chr. durch Masse oder kunstvoll-gekünstelte Arrangements in den Vordergrund der
Komposition; etwa bei der bronzenen Athena in Florenz6. Die Struktur ihres Körpers wird
unter Peplos, Mantel und Ägis nahezu vollständig überspielt. Auch hier stehen die Beine
in etwa parallel. Stand- und Spielbein sind nur in minutiöser Andeutung unterschieden.
Oberschenkel und Rumpf bilden gemeinsam mit den ungebrochen senkrecht verlaufenden
Peplosfalten ein flächiges Rechteck. Dieses wird oben von einem horizontal verlaufenden
Mantelwulst begrenzt. Zugfalten beleben die Oberfläche des Mantels nur sehr zurückhaltend. Weder Waden, Knie, Oberschenkel, Hüften, Taille noch Bauch werden auch nur
andeutend herausgearbeitet. Kaum, daß sich unter der Ägis die Brüste abzeichnen. Die
Bedeutung der Kleidung hat Eigenwert gewonnen. Sie präsentiert sich in Form geometrischer Strukturen. Der linke Arm ist als spitzes Dreieck gearbeitet. Das Verhältnis von
Gewand und Körper ist im Prinzip das gleiche wie bei der Spitzbauch-Statue in Mersin:
Der Mantel verliert seinen attributiven Charakter; er wird demonstrativ zum Schwerpunkt
der Darstellung aufgewertet.
Die ungewöhnliche Geste der linken Hand betont die linke Seite der Skulptur. In gleicher
Weise wird der Blick auf die linke Seite bekleideter Mantelstatuen gelenkt. Die Mäntel
greifen weit über die Figur hinaus nach rechts außen über, wo sie in mächtigen, stoffreichen
Faltenkaskaden auslaufen. Hellenistische Mäntel dienen nicht mehr der Akzentuierung
4
E. SCHMIDT, Katalog der antiken Terrakotten in Würzburg, Mainz 1994, Nr. 183.
DÖHL, Eros, S. 81, 85.
6
M. BIEBER, The Sculpture of the Hellenistic Age, New York 1955/1961 [= Sculpt.Hell.Age], Abb. 47.
5
DAS SPITZBAUCHKNÄBLEIN AUS ELAIUSSA SEBASTÉ, KILIKIEN
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des Körpers, sondern werden selbst zum Gegenstand formaler Experimentierfreude. Die
Tanagra-Figurinen zeigen derartige konstruierte, extravagante Gewandmotive in reichem
Maße7. Die zugrundeliegende Körperlichkeit wird unter den gewickelten Stoffmassen
gänzlich außer Acht lassen. Die Mantelfiguren mit Spiegel8 z.B. lenken die Aufmerksamkeit ähnlich wie beim Spitzbauchknaben auf ein Nebenobjekt. Ein großer Spiegel und die
steifen, massigen Steilfalten ziehen den Blick auf sich. Die kompositorische Einheit von
Körper, Gewand und Attribut ist aufgegeben. Gewand und Attribut treten in den Vordergrund der Komposition und überspielen das eigentliche Hauptobjekt, den Körper. Dieser
wird nur durch die hohe Gürtung unter der Brust angedeutet9. Seine Struktur verschwindet
unterhalb der Brust hinter den massiven, ungegliederten Steilfalten des Chitons. In seiner
gröblich vereinfachten Wiedergabe erzwingt der Chiton gleichwohl besondere Aufmerksamkeit. An der Artemis-Statuette aus Priene10 verdecken drei massige Faltengehänge des
Mantels den Körperbau. Der Mantel ist unter der Brust horizontal zu einer unförmigen
Wulst zusammengedreht. Die formale Behandlung des Mantels als dicke Faltenzüge
entspricht den massigen, großformigen Faltengebilden am Mantel des Spitzbauchknaben.
Beide Mäntel haben als eigenständige Kompositionselemente Eigengewicht. Kaum eine
Rolle spielt der Körper bei der Mädchenstatue in New York, deren aufwendige Kleidung
das eigentliche Motiv der Darstellung ist11. Schwere Peplosfalten verdecken säulenartig die
Beine. Vorn breitet sich ein stoffreicher Überfall aus, hinten ein schmaler Mantel, der sich
vorn zu einer Tragetasche entfaltet. In dieser hält das Mädchen etwas, wohl ein Tierchen,
verborgen. Überfall, Mantel und Beutel rahmen die Gestalt mit ausladenden Stoffkränzen.
Dazu erscheint am Oberkörper noch ein fein gefältelter Chiton. Der Überraschungseffekt
ist total. Die Aufmerksamkeit des Betrachters wird gestaffelt. Wie beim Mersiner Knaben
fällt der Blick auf mehrere Schwerpunkte gleichzeitig, hier sowohl auf den schweren
Peplos-Überfall als auch auf den Beutel, den der Mantel vorn bildet. Schließlich verwundert
neben den ausladenden Gebilden von Peplos und Mantel der zarte Chiton am Oberkörper.
Chiton und Leier bilden an der Apollon-Statuette in Athen12 getrennte Blickpunkte;
der Körper des Gottes wird in keiner Weise akzentuiert. Die weibliche Peplosstatuette
in Kopenhagen13 lenkt den Blick auf ein riesiges Tympanon. Es ist mehr als ein Attribut,
vielmehr Hauptgegenstand der Darstellung, der ähnlich wie der zur Seite geschobene
Mantel am Spitzbauch-Knaben Beachtung erzwingt. Die Peplosfalten hier und die Mantelfalten dort werden absichtsvoll vom Körper ferngehalten. Sie werden nicht als natürlich
integrierte Komponenten aufgefaßt, sondern bilden eine Wand, die keinen Bezug zum
7
G. KLEINER, Tanagrafiguren2, Berlin 1984, pass.; BIEBER, Sculpt.Hell.Age, Abb. 49.
KLEINER, op. cit., Taf. 28.
9
Etwa N. BREITENSTEIN, Catalogue of Terracottas, Kopenhagen 1942 [= Cat.Terracottas], Nr. 659 Taf. 80;
P. PENSABENE, Le terrecotte del Museo Nazionale Romano II, Rom 2001 [= Terrecotte MNR II], Nr. 39 Taf. 11;
D. BURR THOMPSON, Three Centuries of Hellenistic Terracottas, Hesperia 21, 1952, S. 121f. Taf. 34, 19;
E. BRECCIA, Monuments de l’Égypte gréco-romaine II, Bergamo 1930 [= Mon.Eg.gr-rom. II], Taf. 4.5; 5.1.3.
10
F. RUMSCHEID, Die figürlichen Terrakotten von Priene, Wiesbaden 2006, Nr. 23 Taf. 10.
11
G. RICHTER, Catalogue of Greek Sculptures, Cambridge 1954, Nr. 199 Taf. 140.
12
KLEINER, Tanagrafiguren2 , Taf. 12.3.
13
BREITENSTEIN, Cat.Terracottas, Nr. 687 Taf. 84.
8
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JUTTA MEISCHNER, ERGÜN LAFLI
Körper hat. Daß der Mantel an der Kinderstatue demonstrativ zur Seite geschoben wird,
wertet ihn nicht inhaltlich, wohl aber formal auf. Er wird neben dem schwammigen
Kinderkörper mit vorgestrecktem Bauch zum eigenständigen Bestandteil der Darstellung.
Ein abgewandeltes, aber ähnliches Motiv stammt aus Kharayeb im Libanon14. Der nackte
Knabe im Mantel streckt seinen linken Arm unter diesem aus, um ebenfalls den Mantel
vom Körper fern zu halten. Die Fläche des Mantels bildet hier ein großes Dreieck. Ein
solches umschreiben auch seine gespreizten Beine und sein rechter, angewinkelter Arm.
Weit entfernt von klassischer Ponderation, werden sperrige, disparate Motive gesucht,
welche Unruhe in die Komposition bringen. Durch den weitgespannten Mantel wird der
Blick vom Hauptmotiv, dem Körper, genau wie beim Knaben in Mersin, abgelenkt15. Eine
ähnliche Unruhe kennzeichnet einen Knaben mit Laterne in Kopenhagen16. Sein schwerer
Mantel mit groben, breiten Faltenzügen und ausladenden Randkaskaden ist nicht beigeordnetes Nebenobjekt, zumal er trommelförmig um den linken Unterarm gewickelt ist.
Schräg gegenüber hängt eine Laterne in der rechten, vom Körper abgestreckten Hand. Der
Blick des Betrachters wird, wie beim Knaben in Mersin, mehrfach gefordert. So auch bei
einer weiteren Knabenstatue aus Kharayeb17, dessen beide Seiten unterschiedlich betont
werden. Wieder wird mit der rechten Hand der Mantel weggezogen. Die linke Hand hält
am Flügel eine große Ente. Dicke Oberschenkel und der vorgewölbte Bauch stimmen mit
dem Knaben aus Elaiussa in Mersin überein.
Die programmatische Zurschaustellung raffinierter Draperien an stoffreich eingewikkelten Mantelterrakotten war im Frühhellenismus äußerst beliebt. Das Spiel sich kreuzender
Faltenbahnen erstickt alle zugrundeliegende Körperlichkeit18. Manieriert wirkt die abrupte
Diskontinuität geometrisch begrenzter Stoffbahnen an einer Terrakotte aus Pantikapaion19.
Unkörperliche Strukturen geometrisch empfundener Stoffflächen kennzeichnen auch eine
Capuaner Mantelstatuette20. Oder die Stoffwand des Mantels spannt sich frontal und dominiert die Totalansicht21. Der Körper spielt jeweils eine untergeordnete Rolle. Wie der Blick
des Betrachters durch den wie ein schwerer Vorhang zur Seite geschobenen Mantel der
Spitzbauch-Statue quasi auf zwei Schauplätze zugleich gelenkt wird, so bilden stoffreiche
14
M. CHÉHAB, Les terres cuites de Kharayeb, BullMusBeyrouth 11, 1953/54, Taf. 59.1.
Vgl. auch CHÉHAB, BullMusBeyrouth 11, Taf. 57.1; 59.2.
16
BREITENSTEIN, Cat.Terracottas, Nr. 554 Taf. 68.
17
CHÉHAB, BullMusBeyrouth 11, Taf. 50.1.
18
PENSABENE, Terrecotte MNR II, Nr. 35 Taf. 9; T. WEBSTER, Greek Terracottas, London 1950 [= Greek
Terracottas], Abb. 38–40; E. REEDER, Hellenistic Art in the Walters Art Gallery, Baltimore 1988, Nr. 77;
J. FISCHER, Griechisch-römische Terrakotten aus Ägypten, Tübingen 1994, Nr. 40, 41; BRECCIA, Mon.Eg.grrom. II, Taf. 5.5, 6, 7.6.
19
M. KOBYLINA, Terrakotten aus Pantikapaion, München 1961, Taf. 18.2.
20
M. BONGHI JOVINO, Capua preromana. Terrecotte votive II, Florenz 1971, Nr. 33.
21
KLEINER, Tanagrafiguren2, Taf. 2, 11, 12a-b, 14, 19, 22–24; J. UHLENBROCK, The Coroplast’s Art, New York
1990 [= Coroplast’s Art], Abb. 37, 38; S. 111 Nr. 4; S. 112 Nr. 5; A. LAUMONIER, Catalogue des terres cuites.
Madrid, Madrid 1921, Nr. 3 Taf. 2; Nr. 507 Taf. 40.2; Nr. 619 Taf. 64.3; E. REEDER, Hellenistic Art in the Walters
Art Gallery, Baltimore 1988, Nr. 81; BRECCIA, Mon.Eg.gr-rom. II, Taf. 3.3; 4.2; 5.4; 6.2; 10.7; 44.1; 50.4;
D. LAZARIDOU, Pilina eidolia Abderon, Athen 1960, A 8 Taf. 4; V. CANARACHE, Masken und Tanagrafiguren aus
Werkstätten von Callatis, Constantsa 1969, Abb. 181; P. LEYENAAR-PLAISIER, Les terres cuites grecques et
romaines, Leyden 1979 [= Terres cuites], Nr. 687.
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Ausläufer frontal über den Körper hinausgreifender Mäntel einen dekorativen Höhepunkt
der Komposition, zumal, wenn die ausgestreckte Hand über wuchtigen Faltenkaskaden22
einen großen Spiegel oder Schild hochhält23. Diese Faltenkaskaden entfalten sich nicht
integriert, sondern separiert.
Ein oft zitiertes Beispiel des frühen Hellenismus ist die bekränzte Knabenstatue im
Mantel in London und Paris24. Körper und Mantel stehen nicht in kompositorischem
Gleichgewicht zueinander. Der Körper tritt nicht in Erscheinung; er ist verdeckt und zu
einem Rechteck eingewickelt. Beide Hände sind vom Mantel verhüllt. Der voluminöse
seitliche Rand des Mantels ist in Form einer gefüllten Stalagmite gebildet, die von den
Füßen bis zur Hüfte reicht. Sie ist außer dem Köpfchen Schwerpunkt der Komposition, der,
wie beim Knaben in Mersin der zurückgeschobene Mantel, die besondere Aufmerksamkeit
des Betrachters auf sich zieht. Die separierende Kompositionsweise beider Knabenstatuen
weist sie der gleichen Stilepoche, dem frühen Hellenismus, zu, der geometrische Formen
und kompositorische Dissonanzen liebt.
Jutta Meischner
Philosophische Fakultät
d. Freien Universität Berlin
meijut@t-online.de
Ergün Laflı
Dokuz Eylül Üniversitesi
Edabiyat Fakultesi, Arkeoloji Bölümü
Tınaztepe/Kaynaklar Yerleşkesi,
Buca, Izmir
elafli@yahoo.ca
22
Vgl. F. HAMDORF, Hauch des Prometheus, München 1996, Abb. 17–21; Corinth 18.4, Princeton 2000,
H 153, 157; UHLENBROCK, Coroplast’s Art, S. 109 Nr. 2; PENSABENE, Terrecotte MNR II, Nr. 36 Taf. 10; D. BURR
THOMPSON, Three Centuries of Hellenistic Terracottas, Hesperia 21, 1952, S. 121f., Taf. 35; EAD., Hesperia 35,
1966, S. 252f., Taf. 68.3; S. BARONI, V. CASOLO, Capua preromana. Terrecotte votive V, Florenz 1990, S. 378,
Taf. 59.3; S. 402, Taf. 63.6; L. BURN, R. HIGGINS, Catalogue of Greek Terracottas in the British Museum III,
Cambridge 2001, Nr. 2022, Taf. 4; J. CHESTERMAN, Classical Terracotta Figures, London, 1974, S. 53 u.r.;
H. RÜHFEL, Das Kind in der griechischen Kunst, Mainz 1984, Abb. 84, 85, 91.
23
Collection Camille Lecuyer. Terres cuites de Tanagra, Paris 1883, Taf. 26; V. POULSEN, Catalogue des
terres cuites grecques et romaines, Kopenhagen 1949, Nr. 44, Taf. 26; LEYENAAR-PLAISIER, Terres cuites, Nr. 686.
24
WEBSTER, Greek Terracottas, Abb. 46; S. BESQUES, Catalogue raisonné des figurines et reliefs en terre cuite
grecs, étrusques et romains. Époques hellénistique et romaine. Grèce et Asie Mineure, vol. III.1, Paris 1971,
D 171 Taf. 39; J. SCHNEIDER-LENGYEL, Griechische Terrakotten, München 1936, Abb. 55.